Tag 1, 17.06.2011
Start: 09:00 Uhr, Priwall, Lübeck-Travemünde
Ende: 21:30 Uhr, ADAC Campingplatz Alt Garge, Elbe
Strecke: 172 km
Frühstück Punkt 07:00 Uhr. „Für jeden ein Brötchen, und bitte nichts zum Mitnehmen schmieren.“ Mir fällt ein, dass ich die Müsliriegel zuhause vergessen habe. Also futtern wie ein Kamel. „Warum brennt denn bei Ihnen noch Licht im Zimmer? Ist alles mein Geld!“ Die Zeit verrinnt. Schnell ist das Frühstück herunter gewürgt. Gepäck ans Rad und dann los zur Fähre. Acht Uhr ist Überfahrt zum Priwall. Bloß jetzt nicht den Start verpassen. Mark und ich ziehen unsere Tickets als letzte aus dem Automaten. Schade, kaum Zeit zum Räder gucken. Auf dem Priwall geht es gleich weiter zum Strand, zum Nullpunkt der Grenzsteintrophy. Fotosession mitten im Sand. Ich richte schnell noch den Lenker gerade und stelle den Sattel tiefer. Dann knie auch ich vor dem großen Banner nieder und lächle gequält in die Kamera. Das ist mir alles zu hektisch. „Ok Leute, ab zum Start. Punkt Neun geht es los, wir haben noch was vor heute“, drängt Gunnar. Tolle Ausrüstung bei einigen Fahrern, liebevoll selbst gebastelte Taschen und Beutel. Alles dabei von 29er Singlespeed aus Stahl mit Starrgabel bis Carbon-Fully. „Alles klar bei Dir?“, will David wissen. Meine Kehle ist trocken, ich bin nervös wie ein Rennpferd. Dann geht es los. 25 Fahrer setzen sich in Bewegung, auf zur Fahrt ins Ungewisse. Ich fahre als letzter über die imaginäre Startlinie. Vorne geht die Post ab, als wäre es ein 10 km Einzelzeitfahren. Kühle Witterung, leichter Wind schräg von vorne, Regenwolken am Horizont. Ich löse mich von der hinteren Gruppe und fahre zu den Führenden auf. Dann geht es auch schon ins Gelände. Schnell trennt sich die Spreu vom Weizen. Ich schalte erstmal ein paar Gänge zurück. Bis nach Hof ist es noch weit. Nach einer kurzen Pause zum Ausziehen der Regenjacke fahre ich plötzlich am Ende des Feldes. Keiner mehr in Sicht. Und das nach nur 8 km. Ok, fahr ich halt alleine. Die Wegführung ist fantastisch. Es geht über Feldwege und kleine Kopfsteinpflasterstraßen vorbei am Dassower See und an der Untertrave. Die Vögel zwitschern und satt leuchten der Mohn und die Kornblumen auf den Feldern. Janz weit draußen und doch mitten drin in der Zivilisation. Genau so hatte ich mir das vorgestellt. Ich komme endlich in Tritt. Irgendwann werde ich die schon wiedersehen. Nach einer Stunde gabel ich Rüdiger auf seinem Uralt-MTB ohne Federung auf. Mit 71 ist er der älteste Teilnehmer. Er fährt ohne GPS und orientiert sich nur anhand Gunnar‘s Roadbook im DIN-A-5 Format, Maßstab 1:100.000. Ich nehme ihn für ein paar Kilometer ins Schlepptau, dann gibt er mir das Zeichen, dass ich ohne ihn weiter fahren soll. Er wird die Tour nach einem Tag in der Nähe von Boizenburg beenden. 140 km immerhin! Südlich von Schlutup treffe ich dann auf Joachim und Wolfgang. Nach ein paar weiteren Kilometern formiert sich eine Gruppe von 7 bis 9 Fahrern, die meisten davon wie ich mit reichlich Tourengepäck unterwegs. Nach gut 40 km Wegstrecke geht es zum ersten Mal auf den berüchtigten Kolonnenweg. Obligatorisches Foto. Wenn ich gewusst hätte, wie oft ich den noch unter die Stollen nehme…Es holpert, als ich auf den Lochstreifen gerate. Aber wenn man sich ordentlich konzentriert, geht’s. Wir nähern uns parallel zur Wakeniz dem Ratzeburger See. Manchmal verfahren sich die führenden Fahrer und die Gruppe gerät ins Stocken. Martin aus Lübeck und ich sind etwas schneller als der Rest. Kurz vor Ratzeburg setzen wir uns ab. Wir rauschen durch die Trails in Ufernähe, den See immer mal wieder im Blick. So langsam ist das Frühstück verbrannt, und wir beschließen einen kurzen Abstecher nach Ratzeburg zu machen. Martin kennt sich aus. Die Pizzeria ist schnell gefunden und nach gut 10 Minuten verschlinge ich eine Prosciutto XXL. Wir recken noch ein bisschen die müden Gräten, dann geht es wieder auf den Track. „Wir wollen mal nicht päpstlicher sein als der Papst!“. Martin nimmt es mit dem Ehrenkodex nicht so genau, wir kürzen ein kleines Stückchen ab. „Fahrt wie Ihr wollt, kontrolliert ja keiner“, hat Gunnar gesagt. Letztlich fährt jeder seine Tour nach seinem Gewissen. Keine Siegerehrung, keine Medaille, nur Du selbst. Egoismus pur. Die Pizza liegt mir wie ein Stein im Magen. Egal, es geht jetzt zum Glück relativ eben weiter in Richtung Schaalsee. Nach wie vor tolle Trails. Es läuft rund bei Martin und mir. An einem Seeufer sehen wir Ralf, der mit Freundin Antje gestartet ist. Auf unsere Zurufe reagiert er nicht. Später stellt sich heraus, dass er auf sie gewartet hat, während sie an einem anderen See nach ihm suchte. Kommunikationsprobleme. Nach einer weiteren Pause treffen wir unsere Gruppe vom Vormittag wieder. Auch sie hatten in Ratzeburg Mittagspause gemacht. Also doch weiter in der Gruppe. Gemeinsam macht stark. Oder auch nicht. Martin und mir wird es hinter dem Schaalsee zu langsam. Wir geben wieder Gas und setzen uns vom Feld ab. Es geht jetzt über kleine Landstraßen und asphaltierte Wirtschaftswege in Richtung Boizenburg. Kurz hinter der A24 treffen wir in einem Waldstück auf Daniel, der einem Fuchs nachgespürt hat. Er fährt mit Minimalgepäck, setzt voll auf Fremdverpflegung und Übernachtung in Gasthöfen. Nach ein paar Kilometern, als Martin eine weitere Verpflegungspause einlegen will, gibt er seinem Pferdchen die Sporen und düst davon. Ich mache ein paar Fotos vom ersten Grenzdenkmal am Wegesrand und versuche danach mein Glück allein. „Wir sehen uns bestimmt nochmal“, winkt Martin mir nach. Es ist kurz nach 17:00 Uhr und ich knacke die 100 km Marke. So langsam machen sich Sitzprobleme bemerkbar und die Fußballen schmerzen. Mein Traumziel für diesen Tag heißt Hitzacker an der Elbe. Das wären 185 km. Mal sehen. Kurz vor Boizenburg erreiche ich die Elbe. Zunächst sieht es so aus, als gehe es auf dem Geestrücken weiter, aber dann biegt der Track ab vom Kolonnenweg auf die steilen Bodenwellen in Ufernähe. Es geht mindestens 10 Mal rauf und runter, teilweise so steil, dass ich zum ersten Mal auf der Tour schieben muss. An einem Aussichtsturm mache ich Pause und fotografiere die Weiten der Elbauen unter mir. In Boizenburg fülle ich meine Trinkflasche auf und steuere einen Supermarkt an, um nochmal Kalorien nachzutanken. Duplo, Müsliriegel, Milchreis, Kuchenteilchen, Vanilletrinkmilch. Das Zeugs verdampft nur so. Dann geht es auf popoglatten Asphaltsträßchen durch das Elbdeichhinterland in Richtung Bleckede. Ich steigere mich regelrecht in einen Temporausch. „Macht einsfünzig.“ Gegen 20:15 setze ich mit der Fähre als einziger Passagier über. Jetzt kurz noch meinen obligatorischen Tagesbericht auf den AB quasseln, und dann noch ein paar Kilometer weiter zum nächsten Campingplatz. Da geht es vorher aber nochmal ins Gebüsch. Nach kurzer Wegstrecke dann plötzlich Endstation vor einem ominösen Zigeunerwagen mitten im Wald. Der Weg verliert sich. Ein paar Meter zurück, dann nach rechts, na also, geht doch. Nach ein paar Trails durch den Wald treffe ich endlich wieder auf eine Straße. Da vorne müsste der Campingplatz doch schon sein. Da kommt mir plötzlich Martin entgegen. „Wo willst Du denn hin, da geht es lang!“ „Wieso, ich komme gerade von der Fähre.“ ???. Also versuchen wir es im Wald nochmal zu zweit, und Martin, die Spürnase, findet tatsächlich den Weg am Zigeunerwagen vorbei. Nach weiteren 30 Minuten erreichen wir nach ca. 170 km endlich den ersehnten Campingplatz. Es dämmert bereits als wir unsere Notunterkünfte aufschlagen. Schnell noch das Fertiggericht auf meinem Mini-Trangia zubereitet, dann falle ich todmüde und erschöpft auf die harte 5 mm dünne ISO-Matte. Mein Puls ist hoch, die Bilder des Tages rauschen noch einmal vorbei. Ein Bier zum Schluss wäre nicht schlecht gewesen.